Nichtseattle: »Haus aus Papier«
In Zeiten von Spätkapitalismus und Social Media, in denen Verwertbarkeit, Zweckmäßigkeit, der Kampf um Aufmerksamkeit und demnach ein ständiger Performancegedanke in der Musik eine übergeordnete Rolle spielen, kommt die Art des Musizierens, bei der es auf das Erlebnis und die Gruppenerfahrung ankommt, schon lange zu kurz. Nicht so beim Nachbarschaftschor, der zwischen Plattenbauten am Rande des Prenzlauer Bergs wöchentlich probt. Unter der Leitung der Berliner Musikerin Nichtseattle entstehen da magische Momente, wenn durch das gemeinsame mehrstimmige Singen der Laien eine erst schwer vorstellbare, dann aber doch geglückte Harmonie entsteht. Eine Harmonie zwischen Menschen, die unterschiedlichsten Alters sind, mit verschiedensten Biografien und sozialen Hintergründen. Gemeinsam mit ihrer Band singt der Chor bei Pop-Kultur die eigenen Indie-Songs von Nichtseattle und auch andere, die man alle irgendwie gesellschaftlich, utopistisch, idealsozialistisch verstehen kann – und als ein sehr farbenfrohes, lustvolles Gegenmodell zu Individualismus und Vereinzelung des Spätkapitalismus.